Über Sprache und Volksgeist
(ein nicht ganz ernst-zu-nehmendes Beispiel)
Das längste deutsche Wort:
Konstantinopolitanischedudelsackpfeifenröhrlifabrikantentochter (64 Anschläge 22 Silben)
könnte man Ungarn folgendermaßen mitteilen:
konstantinápolyi dudasípcsövecskegyáros lánya (45 Anschläge 16 Silben)
Das Einfallsreichtum dieser Zusammensetzung von Substantiven sei dahingestellt, weil der Zusammenzug des Adjektivs 'Konstantinopolische' und dem Rest eigentlich falsch ist, akzeptieren wir es aber erst einmal.
Wieder einmal wird überdeutlich, dass der Deutsche am liebsten alles mit Substantiven beschreiben würde, und nichts lieber hat, wie konkrete Gegenstände, die sich in eine Hierarchie der Welt eingliedern.
Überlegen wir doch einmal: Sollte in einer Konjunktur die Nachfrage nach Musikinstrumenten anwachsen, und die Aktien der konstantinopolischen Duddelsäcke einen Hochlauf machen, könnte selbst die Ehelichung einer der Töchter der Lieferanten von Vorteil sein. Sollten wir einmal dies kommunizieren wollen, brauchen wir außer diesem Monstrum von einem Wort nicht mehr viel Phrasendrescherei.
Dieser XML-Dateitabellen-ähnlichen Sprache verdankt die deutsche Kultur ihre eindrucksvolle industrielle und wirtschaftliche Karriere.
Dagegen ist das längste ungarische Wort ein wahres Feuerwerk der unerschöpflichen Suffixvorräten und wahrhaftig ein Wort:
elkelkáposztástalaníthatatlanságoskodásaitokért (47 Anschläge 19 Silben)
Unseren Deutschen Freunden könnte man es wie folgt verständlich machen:
aufgrund eurer Gewohnheit, vorzutäuschen, als ob ihr nicht gänzlich vergärtnerkohlt werden könntet
Auf Deutsch erfordert die Erklärung dieses komplizierten menschlichen Verhaltens 97 Anschläge oder ZWÖLF WÖRTER!
Manche werden lächeln: Kann sein, aber das Wort hat ja keinen Sinn.
Für Sie möchten wir an dieser Stelle ein Sprüchlein zitieren, welches ungarische Kinder bis in die Vorschule brauchen um mitzuteilen, dass die Regeln des jeweiligen Spiels für sie nicht mehr gelten:
Nem ér a nevem - káposzta a fejem. [Mein Name gilt nicht - mein Kopf ist Gemüsekohl.]
Dieses Alberne Sprüchlein ist der Beweis dafür, dass im Ungarischen einst der Gemüsekohl für Korruption stand.
Die Bedeutung des längsten Worts ist also identisch mit der des zweitlängsten:
megszentségteleníthetetlenségeskedéseitekért
Man kann sich über den Vorwurf in diesem unschuldigen Sprachwitz nicht hinwegsetzen, aus dem hervorgeht, dass die Ursache unseres Leids ist, dass manche Mitmenschen von Zeit zu Zeit vorgetäuscht haben, nicht vergärtnerkohlt bzw. entheiligt werden zu können. Was aber Bullshit ist, und wiiie sie sich vergärtnerkohlen lassen!
Was alles aber garantiert Folgen haben wird – und mit diesem Wort leiten wir unser fulminantes Urteil ein. Wir Ungarn, Meister des rückwärtsgewandten Bogenschießens, vergessen keine einzige Gemeinheit.
Ist es verwunderlich, wenn das deutsche Wort für Poesie etwas mit ‚verdichten‘ zu tun hat?